Zusammenfassung des Urteils BES.2020.102 (AG.2021.395): Appellationsgericht
Die Beschwerdeführerinnen haben Beschwerde gegen die Sistierungsverfügungen der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt erhoben, die das Strafverfahren gegen fünf Beschuldigte betreffen. Die Beschwerdeführerinnen wurden nicht vor dem Antrag der Staatsanwaltschaft an das Bundesamt für Justiz angehört, was jedoch nach dem IRSG nicht erforderlich ist. Die Beschwerdeführerinnen fordern, dass das Strafverfahren erst sistiert werden darf, wenn der angefragte Staat die Strafverfolgung tatsächlich übernimmt. Das Appellationsgericht entscheidet, dass die Sistierungsverfügungen rechtens sind und weist die Beschwerde ab. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 1'000 werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | BES.2020.102 (AG.2021.395) |
Instanz: | Appellationsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 01.07.2021 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Sistierung des Strafverfahrens |
Schlagwörter: | Staat; Verfahren; Staatsanwaltschaft; Beschwerdeführerinnen; Verfahren; Beschuldigte; Sistierung; Recht; Behörde; Über; Behörden; Bundesamt; Justiz; Verfahrens; Übernahme; Verfolgung; Schweiz; Beschuldigten; Akten; Gehör; Entscheid; Antrag; Verfügung; Verfahrens; Sistierungsverfügungen; Anzeige; ührt |
Rechtsnorm: | Art. 314 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 48 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Donatsch, Hans, Schweizer, Hansjakob, Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 314 OR, 2020 |
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt Einzelgericht |
BES.2020.102
ENTSCHEID
vom 1. Juli 2021
Mitwirkende
lic. iur. Christian Hoenen
und Gerichtsschreiber MLaw Thomas Inoue
Beteiligte
A____ Beschwerdeführerin 1
[...]
vertreten durch [...], Advokat,
[...]
B____ Beschwerdeführerin 2
[...]
vertreten durch [...], Advokat,
[...]
gegen
C____ Beschwerdegegner 1
[...] Beschuldigter 1
vertreten durch [...], Rechtsanwalt,
[...]
D____ Beschwerdegegnerin 2
-unbekannt- Beschuldigte 2
E____ Beschwerdegegnerin 3
-unbekannt- Beschuldigte 3
F____ Beschwerdegegnerin 4
-unbekannt- Beschuldigte 4
G____ Beschwerdegegner 5
-unbekannt- Beschuldigter 5
Gegenstand
Beschwerde gegen fünf Verfügungen der Staatsanwaltschaft
vom 11. Mai 2020
betreffend Sistierung des Strafverfahrens
Sachverhalt
Die [...] Staatsangehörige B____ (Beschwerdeführerin 2) reichte am 21.Juni2012 gegen ihren Landsmann C____ (Beschuldigter 1) Strafanzeige wegen Betrugs und Geldwäscherei ein. Die Anzeige steht im Zusammenhang mit einer geplanten Investition (angebliches Recycling in [...]), welche über die H____ mit Sitz in Basel hätte abgewickelt werden sollen. Es handelt sich um ausländisches Geld, das für ein Projekt in [...] bestimmt war, welches angeblich von der Schweiz aus hätte geleitet werden sollen.
Am 19.September 2014 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein. Nachdem die dagegen gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin 2 vom Appellationsgericht am 6.Juli 2015 gutgeheissen und die Staatsanwaltschaft zur Vornahme weiterer Ermittlungen angewiesen worden war (AGE BES.2014.138), erstattete am 2.Oktober 2015 auch die A____ (Beschwerdeführerin 1) Strafanzeige gegen den Beschuldigten 1 wegen aller in Frage kommenden Delikte im Zusammenhang mit der Zahlung von EUR250'000.- vom 22.Februar 2010. Mit Eingabe vom 28.September 2019 ergänzten die Beschwerdeführerinnen die Strafanzeige gegen den Beschuldigten 1 und erstatteten zudem Anzeigen u.a. gegen D____ (Beschuldigte 2), E____ (Beschuldigte 3), F____ (Beschuldigte 4) sowie G____ (Beschuldigter 5) u.a. wegen qualifizierter Geldwäscherei.
Auf Anfrage der Beschwerdeführerinnen teilte die Staatsanwaltschaft diesen am 5.März 2020 mit, dass sie gegen die fünf in der Strafanzeige vom 28.September 2019 genannten Personen ebenfalls ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Geldwäscherei eingeleitet hat. Zudem wurden die Beschwerdeführerinnen um Mitteilung gebeten, ob die Strafanzeige auch in [...] und / in [...] anhängig gemacht wurde und wie der allfällige Verfahrensstand ist. Mit Eingabe vom 3.April 2020 teilten die Beschwerdeführerinnen unter Einreichung eines Briefs, einer Aktennotiz und einer in [...] Sprache verfassten Strafanzeige der Staatsanwaltschaft mit, dass sowohl in [...] als auch in [...] Verfahren gegen einige der Beschuldigten hängig sind.
Auf entsprechendes Erbitten der Staatsanwaltschaft ersuchte das Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, am 27.April 2020 die [...] Behörden um Übernahme der Strafverfolgung gegen die fünf Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft sistierte in der Folge mit Verfügungen jeweils vom 11.Mai 2020 die Strafverfahren gegen die fünf Beschuldigten.
Gegen diese Sistierungsverfügungen erhoben die Beschwerdeführerinnen am 22.Mai 2020 Beschwerde beim Appellationsgericht Basel-Stadt. Sie beantragen im Wesentlichen die Aufhebung der fünf Sistierungsverfügungen sowie die Anweisung der Staatsanwaltschaft, die schweizerischen Verfahren erst dann zu sistieren, wenn seitens der [...] Strafverfolgungsbehörden die bindende Zusage erfolge, dass die schweizerischen Verfahren tatsächlich übernommen und fortgeführt würden. Ausserdem seien den Beschwerdeführerinnen Einsicht in die Akten des Bundesamtes für Justiz und der Staatsanwaltschaft betreffend das Übernahmeersuchen zu gewähren und sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, den Beschwerdeführerinnen das rechtliche Gehör betreffend das erfolgte Ersuchen zu gewähren. Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Beschwerdeantwort vom 2.Juni 2020 die kostenfällige Abweisung der Beschwerden. Mit Replik vom 6.Juli 2020 hielten die Beschwerdeführerinnen an ihren Anträgen vollumfänglich fest. Auf eine Vernehmlassung der Beschuldigten wurde verzichtet.
Der vorliegende Entscheid ist aufgrund der Akten ergangen. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich - soweit für den Entscheid von Bedeutung - aus den nachfolgenden Erwägungen.
Erwägungen
1.
1.1 Gegen Sistierungsverfügungen der Staatsanwaltschaft kann gemäss Art.314 Abs.5 in Verbindung mit Art.322 Abs.2 in Verbindung mit Art.393 Abs.1 lit.a der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR312.0) innert zehn Tagen Beschwerde erhoben werden. Zu deren Beurteilung ist das Appellationsgericht als Einzelgericht zuständig (§93 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG154.100]). Zur Beschwerde legitimiert, ist jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung eines Entscheides hat (Art.382 Abs.1StPO), wobei zu den Parteien unter anderem die Privatklägerschaft zählt (Art.104 Abs.1 lit.aStPO). Als Privatklägerinnen sind die Beschwerdeführerinnen durch die Sistierungen der Strafverfahren in ihren rechtlich geschützten Interessen tangiert, weshalb sie zur Beschwerdeerhebung legitimiert sind.
1.2 Die angefochtenen Verfügungen betreffen die von der Staatsanwaltschaft vereint geführten Strafverfahren gegen die fünf Beschuldigten. Entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerinnen sind die fünf Verfahren im vorliegenden Beschwerdeverfahren zusammenzulegen.
1.3 Mit Verfügung des Verfahrensleiters vom 25.Mai 2020 wurde die Staatsanwaltschaft um Zustellung der Verfahrensakten ersucht und mit Verfügung vom 10.Juni 2020 wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerinnen die Akteneinsicht gewährt. Der Vertreter der Beschwerdeführerinnen machte am 23.Juni 2020 auf der Kanzlei des Appellationsgerichts von dieser Möglichkeit Gebrauch. Damit ist das Gesuch der Beschwerdeführerinnen um Akteneinsicht in die Akten des Bundesamtes für Justiz und der Staatsanwaltschaft betreffend das Übernahmeersuchen (Rechtsbegehren 6) gegenstandslos geworden, weshalb vorliegend nicht weiter darauf einzugehen ist.
1.4 Auf die ansonsten nach Art.396 Abs.1StPO frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten. Die Kognition des Beschwerdegerichts ist nach Art.393 Abs.2StPO frei. ImÜbrigen richtet sich das Verfahren nach Art.397StPO.
2.
Die Staatsanwaltschaft hat die angefochtenen Verfügungen damit begründet, dass vorübergehende Verfahrenshindernisse bestünden. Da [...] seine eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefere, seien die [...] Behörden gemäss Art.6 Abs.2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EAUe, SR0.353.1) vertraglich verpflichtet, die Strafverfolgung gegen die Beschuldigten zu übernehmen. Wenn die Verfolgung von Straftaten durch den ersuchten Staat übernommen worden sei, sei es den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden gemäss Art.89 Abs.1 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG, SR351.1) untersagt, weitere Massnahmen zu ergreifen, solange der ersuchte Staat nicht mitgeteilt habe, dass er das Verfahren nicht zu Ende führen könne bzw. wenn der Strafanspruch aufgrund des im ersuchten Staat ergangenen Entscheides erloschen sei.
3.
3.1 Die Beschwerdeführerinnen rügen zunächst, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Ihnen sei weder vor dem Einreichen des Antrags der Staatsanwaltschaft zuhanden des Bundesamtes für Justiz, noch vor dem Einreichen des Ersuchens an die [...] Behörden durch das Bundesamt für Justiz, noch vor Erlass der vorliegenden Sistierungsverfügungen die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt worden. Dies sei insofern von Bedeutung, als dass entsprechende Ersuchen nur zulässig seien, wenn im ausländischen Staat keine Verjährung der Strafverfolgung eingetreten sei. Ob und wie dies geprüft worden sei, sei unklar (Beschwerde, Ziff.9).
Die Staatsanwaltschaft entgegnet dem, das Procedere zur Stellung eines Strafübernahmebegehrens richte sich nach dem IRSG. Gemäss Art.25 Abs.2 IRSG sei gegen Strafübernahmebegehren an das Ausland lediglich die beschuldigte Person mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz zur Beschwerde berechtigt. Der Privatklägerschaft stehe demgegenüber kein Beschwerderecht zu. Folglich sei die Staatsanwaltschaft weder verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführerinnen vorgängig anzuhören, noch ihnen das Rechtshilfebegehren in Form einer anfechtbaren Verfügung zu eröffnen. Komme hinzu, dass Strafübernahmebegehren an die [...] Behörden nicht durch die kantonalen Strafverfolgungsbehörden, sondern vom Bundesamt für Justiz gestellt würden (Beschwerdeantwort, S.1 unten und 2 oben).
In ihrer Replik bringen die Beschwerdeführerinnen vor, es treffe zwar zu, dass die Privatklägerschaft kein Beschwerderecht gegen die Stellung eines Strafübernahmebegehrens habe. Dies bedeute aber nicht, dass sie keinen Anspruch darauf habe, von der Strafverfolgungsbehörde vorgängig angehört zu werden, wenn diese plane, ein Strafübernahmebegehren zu stellen. Dies gebiete der Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Beschwerdeführerinnen hätten demnach das Recht gehabt, sich zum geplanten Strafübernahmebegehren an das Bundesamt für Justiz zu äussern (Replik, Ziff. 1-3).
3.2 Die Beschwerdeführerinnen haben als Parteien im Strafverfahren grundsätzlich einen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.104 Abs.1 in Verbindung mit Art.107 Abs.1 StPO). Dieser Anspruch umfasst unter anderem das Recht, sich zur Sache und zum Verfahren zu äussern (Art.107 Abs.1 lit.d StPO).
Die Verfahrenssistierung nach Art. 314 Abs.1 StPO stellt eine Verfahrenseinstellung prozessualer Natur dar. Sie ist nicht endgültig, sondern kann ohne Weiteres wieder aufgehoben werden. Da Art.314 Abs.5 StPO für das Verfahren auf die Bestimmungen der Verfahrenseinstellung verweist, haben die Parteien vor der Sistierung keinen Anspruch darauf, angehört zu werden. Die Parteien können das rechtliche Gehör im Beschwerdeverfahren wahrnehmen (Urteile des Bundesstrafgerichts BB.2012.42 vom 26.Juli 2012 E.2.1, BB.2017.209 vom 28.März 2018 E.2; Landshut/Bosshard, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3.Auflage, Zürich 2020, Art.314 N 20a).
Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft vor Erlass der angefochtenen Sistierungsverfügungen den Beschwerdeführerinnen nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt hatte. Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerinnen wurde in dieser Hinsicht nicht verletzt.
3.3 Auch der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft die Beschwerdeführerinnen vor ihrem Antrag an das Bundesamt für Justiz auf Ersuchen der [...] Behörden um Übernahme der Strafverfahren nicht angehört hat, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdeantwort zutreffend ausführt, richtet sich - sofern keine staatsvertraglichen Regelungen einschlägig sind - sowohl das Verfahren zur Stellung eines Strafübernahmebegehrens als auch der Rechtsschutz im schweizerischen Rechtshilferecht in erster Linie nach den Bestimmungen des IRSG. Nicht zur Anwendung kommen bei der Überprüfung schweizerischen Handelns mit Rechtshilfebezug dagegen die Rechtsmittel der StPO. Die IRSG-Rechtsschutzbestimmungen bilden grundsätzlich eine der StPO vorgehende lex specialis (Gless/Schaffner, in: Basler Kommentar, 2015, Art.21 IRSG N5 f.).
In Bezug auf Strafübernahmegesuche an ausländische Staaten haben die kantonalen Strafbehörden gemäss Art.30 Abs.2 IRSG einen Antrag an das Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, zu stellen. Dieses prüft gestützt auf den kantonalen Antrag die Voraussetzungen nach Art.88 f. IRSG und ist in der Folge zuständig dafür, das Strafübernahmeersuchen an den jeweiligen ausländischen Staat zu stellen (Heimgartner, in: Basler Kommentar, 2015, Art.30 IRSG N 12 ff.). Der Antrag der Staatsanwaltschaft an das Bundesamt für Justiz ist weder eine Verfügung eine strafprozessuale Massnahme, noch ist er anfechtbar; er stellt einen blossen Vorschlag bzw. eine Stellungnahme dar (Unseld, in: Basler Kommentar, 2015, Art.91 IRSG N15 und 21). Beschwerdefähig ist einzig die auf das schweizerische Ersuchen um stellvertretende Strafverfolgung folgende Verfügung des Bundesamtes für Justiz in Ermangelung einer solchen das schweizerische Ersuchen selbst (Gless/Schaffner, a.a.O., Art.25 IRSG N15). Wie die Staatsanwaltschaft zudem zu Recht einwendet, kommt lediglich der verfolgten Person mit gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz eine Beschwerdebefugnis zu (Art.25 Abs.2 IRSG). Drittbetroffene, wie namentlich die Privatklägerschaft, sind dagegen nicht zur Beschwerde legitimiert (Unseld, a.a.O., Art.91 IRSG N16; Gless/Schaffner, a.a.O., Art.25 IRSG N19). Es mag zwar Konstellationen geben, in denen es angebracht erscheint, die Privatklägerschaft vor dem Antrag an das Bundesamt für Justiz anzuhören. Eine entsprechende Verpflichtung besteht jedoch nicht (Unseld, a.a.O., Art.91 IRSG N15).
Es ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdeführerinnen vor dem Antrag der Staatsanwaltschaft an das Bundesamt für Justiz nicht zur Stellungnahme eingeladen wurden. Der Vorwurf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs erweist sich damit als unbegründet und der Antrag, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, den Beschwerdeführerinnen das rechtliche Gehör in Bezug auf die erfolgten Anträge an das Bundesamt für Justiz zu gewähren, ist abzuweisen.
4.
4.1 Die Beschwerdeführerinnen rügen weiter, die Sistierung eines Strafverfahrens sei erst zulässig, wenn der angefragte Staat die Strafverfolgung tatsächlich übernehme. Es müsse feststehen, dass die Verfahren auch tatsächlich übernommen würden (Beschwerde, Ziff.10).
Die Staatsanwaltschaft entgegnet, die [...] Behörden seien zur Verfahrensübernahme staatsvertraglich verpflichtet. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die [...] Behörden dieser Verpflichtung entziehen würden. Es sei daher schleierhaft, weshalb mit der Sistierung des Strafverfahrens zugewartet werden solle, zumal weitere Untersuchungsmassnahmen erneut auf dem Rechtshilfeweg im Ausland vorgenommen werden müssten. Da entsprechende Handlungen voraussichtlich länger dauern als bis zum Erhalt der Übernahmebestätigung, seien solche nicht mit Art.89 Abs.1 IRSG vereinbar (Beschwerdeantwort, S.2).
Die Beschwerdeführerinnen bringen dagegen replicando vor, auch wenn die [...] Behörden grundsätzlich zur Verfahrensübernahme verpflichtet seien, sei es nicht zulässig, vor der effektiven Übernahme der Strafverfolgung das Verfahren zu sistieren. Es bestehe aufgrund eines neuen Gesetzes in [...], wonach für die strafrechtliche Verfolgung von Betrugsdelikten ein rechtzeitiger Strafantrag notwendig sei, die begründete Sorge, dass die [...] Behörden das Verfahren übernehmen und sogleich einstellen würden. Eine Sistierung könne deshalb erst dann erfolgen, wenn feststehe, dass die [...] Behörden ihrer Pflicht nachgekommen seien und das Verfahren nicht eingestellt hätten (Replik, Ziff.4-6).
4.2 Die Sistierung ist eine Zwischenverfügung, mit welcher eine Untersuchung, die bloss vorübergehend nicht weitergeführt werden kann, einstweilen formell erledigt wird. Der Fall wird nicht materiell abgeschlossen sondern bleibt bei der sistierenden Behörde rechtshängig und muss später auf jeden Fall erledigt werden, sei es durch Einstellung, Anklage Strafbefehl (Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3.Auflage, Zürich 2020, Art. 314 N 1). Die Anwendungsfälle der Sistierung werden in Art. 314 Abs. 1 StPO geregelt, wobei die Aufzählung nicht abschliessend ist (vgl. Landshut/Bosshard, a.a.O., Art. 314 N 5; Omlin, in: Basler Kommentar, 2. Auflage 2014, Art. 314 StPO N 11). Ein Grund für die Sistierung des Verfahrens können die in Art.314 Abs.1 lit.a StPO genannten vorübergehenden Verfahrenshindernisse sein. Ausserdem kann die Staatsanwaltschaft gemäss Art.314 Abs.1 lit.bStPO eine Strafuntersuchung dann sistieren, wenn deren Ausgang von einem anderen Verfahren abhängt und es angebracht erscheint, dessen Ausgang abzuwarten. Die Sistierung des Strafverfahrens rechtfertigt sich jedoch nur dann, wenn sich das andere Verfahren tatsächlich auf das Ergebnis des Strafverfahrens auswirken kann und wenn jenes Verfahren die Beweiswürdigung im Strafverfahren erheblich erleichtert. Zudem setzt das Beschleunigungsgebot (Art.29 Abs.1 der Bundesverfassung [BV, SR101] und Art.5 StPO) der Sistierung des Strafverfahrens Grenzen. Sie hängt von einer Abwägung der Interessen ab und ist mit Zurückhaltung anzuordnen (BGer 1B_555/2019 vom 6.Februar 2020 E.2.2 mit Hinweisen).
4.3 Die Beschuldigten sind allesamt [...] Staatsangehörige und haben ihren jeweiligen Wohnsitz in [...] (vgl. u.a. auch Strafanzeige vom 28.September 2019 S.2, Akten S.315.98). Unbestritten ist ferner, dass [...] Mitgliedsstaat des Europäischen Auslieferungsübereinkommens ist, einen Vorbehalt hinsichtlich der Auslieferung eigener Staatsangehöriger angebracht hat und daher staatsvertraglich verpflichtet ist, auf entsprechendes Ersuchen eines Mitgliedstaates die Angelegenheit den zuständigen ([...]) Behörden zu unterbreiten, damit gegen die beschuldigte(n) Person(en) gegebenenfalls ein Verfahren durchgeführt werden kann (vgl. hierzu auch Art.6 Ziff.1 und 2 EAUe).
Soweit andere Gesetze internationale Vereinbarungen nichts bestimmen, regelt das IRSG das Verfahren der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Strafsachen betreffend die stellvertretende Verfolgung und Ahndung strafbarer Handlungen (Art.1 Abs.1 lit. c IRSG). Gemäss Art.88 lit.a IRSG kann ein anderer Staat um Übernahme der Strafverfolgung wegen einer der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterworfenen Tat ersucht werden, wenn seine Gesetzgebung die Verfolgung und die gerichtliche Ahndung der Tat zulässt und wenn der Verfolgte sich dort aufhält und seine Auslieferung an die Schweiz unzweckmässig unzulässig ist. Nach der Übernahme des Verfahrens durch den ersuchten Staat dürfen gegen den Verfolgten wegen derselben Tat keine weiteren Massnahmen ergriffen werden, solange der ersuchte Staat nicht mitgeteilt hat, dass er nicht in der Lage sei, das Strafverfahren zu Ende zu führen (lit.a), wenn aufgrund des in dem ersuchten Staat ergangenen Entscheides die Voraussetzungen nach Art.5 lit. a b IRSG erfüllt sind (lit.b).
4.4 Das Bundesamt für Justiz übermittelte das Strafübernahmebegehren der Staatsanwaltschaft am 27.April 2020 an die [...] Behörden (Akten S.167.377 ff.). Die Beschwerdeführerinnen anerkennen, dass im Falle der Übernahme der Strafverfahren die schweizerischen Behörden keine weiteren Massnahmen wegen derselben Tat mehr ergreifen dürfen und eine Verfahrenssistierung in diesem Fall angebracht erscheint (Beschwerde Ziff.10a. und b.; vgl. auch BGer 1B_318/2017 vom 30.November 2017 E.2.1). Sie sind jedoch der Ansicht, dass eine Sistierung erst erfolgen dürfe, wenn die Strafverfahren tatsächlich übernommen worden seien und feststehe, dass sie materiell behandelt und zu Ende geführt würden (Beschwerde Ziff.10b.; Replik Ziff.5 f.). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Es mag zwar zutreffen, dass das absolute Verbot zur Vornahme weiterer Untersuchungshandlungen nach Art.89 Abs.1 IRSG erst nach Übernahme der Strafuntersuchung und während der Hängigkeit des Verfahrens im Ausland zum Tragen kommt (vgl. hierzu allerdings Unseld, a.a.O., Art.89 IRSG N5 mit Verweis auf Unseld, a.a.O., Art.85 IRSG N47). Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdeantwort jedoch zu Recht ausführt, müsste für weitere Untersuchungshandlungen soweit ersichtlich ebenfalls der Rechtshilfeweg beschritten werden, was einerseits jeweils viel Zeit in Anspruch nimmt und es fraglich erscheint, ob die jeweiligen Handlungen vor dem Entscheid über die Übernahme erfolgen könnten. Andererseits würden entsprechende Rechtshilfegesuche an [...] dem eigenen Übernamegesuch widersprechen und dieses in Frage stellen. Die Fortsetzung der Strafverfahren bzw. die Vornahme weiterer Untersuchungshandlung ist unter diesen Voraussetzungen bis zum Entscheid der [...] Behörden über das Übernahmegesuch nicht denkbar.
Auch die Ausführungen der Beschwerdeführerinnen hinsichtlich der befürchteten Rechtslage in [...] vermögen nichts an der Zulässigkeit der Sistierungsverfügungen zu ändern. Der Entscheid über die Übernahme der Strafverfolgung obliegt den [...] Behörden, wobei sie gemäss Art.6 Ziff.2 EAUe grundsätzlich zur Übernahme verpflichtet sind. Sollten sie die Strafverfahren nicht übernehmen bzw. den Schweizer Behörden mitteilen, dass keine Verfolgung eingeleitet wird, käme Art.89 Abs.1 lit.a IRSG zur Anwendung und wären weitere Untersuchungshandlungen in der Schweiz wieder möglich (Unseld, a.a.O., Art.89 IRSG N6). Übernimmt [...] dagegen die Strafverfolgung, entfällt die schweizerische Zuständigkeit. Die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden sind diesfalls mit der Strafsache nicht mehr befasst. Die Zulässigkeit der Fortführung bzw. der Wiederaufnahme der schweizerischen Strafverfahren richtet sich danach nach Art.89 Abs.1 IRSG (Unseld, a.a.O., Art.89 IRSG N1). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen spielt es dabei keine Rolle, ob die schweizerischen Strafverfahren zuvor eingestellt bzw. sistiert wurden nicht. Wenn die [...] Behörden demnach dem Übernahmegesuch des Bundesamts für Justiz entsprechen, wäre im Fall einer allfälligen Verfahrenseinstellung in [...] zu prüfen, ob die Fortführung der Schweizer Verfahren gemäss Art.89 Abs.1 IRSG zulässig ist - und zwar unabhängig davon, ob die schweizerischen Verfahren zuvor sistiert wurden nicht.
4.5 Aus dem Gesagten wird ersichtlich, dass der Fortgang der vorliegenden Strafverfahren wesentlich davon abhängt, ob dem schweizerischen Übernahmegesuch von den [...] Behörden stattgegeben wird und wie der Ausgang der allfälligen Verfahren in [...] ist. Eine Verfahrenssistierung gestützt auf Art.314 Abs.1 lit.b StPO erscheint daher geradezu angezeigt (BGer 1B_318/2017 vom 30.November 2017 E.2.1; ferner auch Landshut/Bosshard, a.a.O., Art.314 N12; Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Auflage, Zürich 2018,Art. 314 N6). Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft die Verfahren gegen die fünf Beschuldigten sistierte.
5.
Aus den vorgehenden Erwägungen folgt, dass die Beschwerde gegen die fünf Sistierungsverfügungen abzuweisen ist.
Bei diesem Ergebnis sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Art.428 Abs.1 StPO den Beschwerdeführerinnen in solidarischer Verbindung mit einer Gebühr von CHF 1'000.- aufzuerlegen (§21 Abs.2 des Gerichtsgebührenreglements [GGR, SG 154.810]).
Die Beschuldigten wurden nicht in das vorliegende Beschwerdeverfahren involviert, weshalb ihnen keine Parteientschädigung zuzusprechen ist.
Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):
://: Die Beschwerde gegen die Sistierungsverfügungen vom 11.Mai 2020 (Aktenzeichen [...]) wird abgewiesen.
Die Beschwerdeführerinnen tragen in solidarischer Verbindung die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit einer Gebühr von CHF 1000.- (einschliesslich Auslagen).
Mitteilung an:
- Beschwerdeführerin 1
- Beschwerdeführerin 2
- Beschuldigter 1
- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt
APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT
Der Präsident Der Gerichtsschreiber
lic. iur. Christian Hoenen MLaw Thomas Inoue
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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